Page 22 - Jahrbuch 2019
P. 22
Beiträge aus Forschung Lehre am Fachbereich
Stabilisierung von Arbeitskräften in der Textilindustrie:
Begleitforschung zu Personalf uktuation und -rekrutierung im Hawassa Industrial Park
(HIP), Äthiopien
Michaela Fink, Reimer Gronemeyer
Äthiopien als wichtiger Standort der Arbeitsplätze sind bisher entstanden. dass die Ursachen für die instabile
Textilindustrie Bei voller Auslastung wird erwartet, Personalsituation nicht allein in ökono-
Die Textilindustrie in Äthiopien boomt. dass der Park 60.000 Mitarbeiter mischen Faktoren (niedrige Gehälter)
Steigende Produktionskosten in Asien beschäftigt und in einer Doppelschicht und in den Arbeits- und Wohnbedin-
(aber auch z.B. in der Türkei) führen zu arbeitet. Ein zweiter Industriepark gungen (hohe Arbeitsbelastung,
Verlagerungen der Produktionsstätten. wurde in der Hauptstadt Adis Abeba schlechte Unterbringung) zu suchen
Neben Bangladesch, Vietnam und angesiedelt. Insgesamt sind zwölf sind, sondern dass darüber hinaus auch
Myanmar ist Äthiopien mittlerweile solcher Industriegebiete in Äthiopien soziale und kulturelle Ursachen eine
einer der führenden Beschaffungs- geplant. Zu den wichtigsten Exportlän- entscheidende Rolle spielen: die agrari-
standorte der Textilindustrie. Lohnkos- dern im Bekleidungssektor zählen sche Sozialisation der Arbeiterinnen
ten sind in der arbeitsintensiven Textil- neben Deutschland die USA und Groß- (das Personal besteht überwiegend aus
industrie der entscheidende Faktor für britannien. Die Parks sind als Freihan- jungen Frauen), ihre starke Bindung an
die Konkurrenzfähigkeit. In Äthiopien delszonen angelegt, die ausschließlich die dörf ichen Gemeinschaften und die
liegen die aktuell deutlich niedriger als für den Export produzieren. kulturellen Wertvorstellungen sowie
etwa in Bangladesch (Bangladesch: ethnische Spannungen.
monatlich 95 USD vs. Äthiopien ca. 30 Herausforderungen der Textilindustrie Die kulturelle Distanz der Arbeiterinnen
USD). Die von der äthiopischen Regierung gegenüber den Erwartungen und
Bis zum Jahr 2022 sollen in Äthiopien beabsichtigte Ausweitung von Indust- Normen, die eine industrialisierte
350.000 Jobs in der Textilbranche rie-, im speziellen Textilparks, die von Arbeitswelt an sie stellt, wird verstärkt
entstehen. Dafür lässt die äthiopische der deutschen Regierung unterstützt durch die Distanz gegenüber den
Regierung Industrieparks bauen – mit wird, sieht sich vor verschiedenen überwiegend aus dem Ausland stam-
eigener Kläranlage und zuverlässiger Herausforderungen. Zentral ist dabei menden Führungskräften, die einerseits
und kostengünstiger Stromversorgung. das Thema Arbeitskräfte. Hohe Perso- gänzlich andere soziale und kulturelle
Investoren können die riesigen Hallen nalf uktuation (Turnover), geringe Pro- Hintergründe mitbringen und zugleich
mieten. duktivität und mangelnde Zuverlässig- eine globalisierte, ökonomische Pers-
In Hawassa, einer Stadt mit 300.000 keit (Absenteeism) gefährden die pektive repräsentieren.
Einwohnern, wurde in 2016 der größte schaftlichkeit und damit den Fortbe- Das »mindset« der Arbeitskräfte, das
Textilparks des Landes in Betrieb stand der neugeschaffenen Industrie- sich insbesondere in Fehlzeiten und in
genommen. 20 internationale Textil- parks. hohen Abbruchraten ausdrückt, ist aus
unternehmen haben sich dort mit 52 Eine Voruntersuchung der Antragsteller Sicht der Unternehmen nicht tragbar.
Fabriken niedergelassen. 25.000 in Hawassa im März 2019 hat gezeigt, Zugleich wissen die Führungskräfte
22