Page 28 - Jahrbuch 2020
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Aus dem Fachbereich







          Demenz in Zeiten von Corona

          Reimer Gronemeyer, OIiver Schultz





          Klaus W. ist stark von Demenz betrof-  auf sich allein gestellt und damit einer
          fen. Seine Frau pflegt ihn schon seit   mit jedem Tag wachsenden Belastungs-
          Jahren zu Hause. Sie will ihr Leben so   probe ausgesetzt. Pflegeheime appel-
          lange wie möglich mit ihrem Mann      lieren an Angehörige, ihre Besuche aufs
          verbringen. Zwei Tage in der Woche ist   Nötigste zu reduzieren. Vorrangiges
          Klaus W. in einer Tagespflege unterge-  Ziel ist dabei der Schutz vor Infektion.
          bracht. Als Corona kommt, macht die   ‚Schutz durch Abschottung‘ aber hat
          Tagespflege zu. Nun muss Martha W.    offensichtlich in vielen Fällen bei Men-
          ohne Unterstützung zurechtkommen.     schen mit Demenz zu gesundheitlichem
          Die einzigen beiden Tage, an denen sie   Verfall, ja bisweilen zum Tod geführt.
          sich erholen oder auch dringende      Die durch Abschottung verursachten
          Besorgungen machen konnte, fallen     Einsamkeitsgefühle haben Depressivi-
          weg. Die Familie wird stärker eingebun-  tät, Ängstlichkeit, Wut und Stress her-
          den. Einkäufe werden vor die Tür      vorgebracht. Zugleich haben Konflikte
          gestellt. Man bleibt erst einmal auf   zwischen Heimleitungen und Angehöri-
          Abstand. Zu groß ist die Sorge, die   gen zugenommen.
          Tochter könne ihre Eltern mit dem Virus
          infizieren.                           Welche Erfahrungen machen Menschen
          Menschen mit Demenz und jene, die     mit Demenz und diejenigen, die sie
          sie versorgen, sind in den Zeiten von   pflegen und versorgen, in den Zeiten
          Corona besonderen gesundheitlichen    von Corona? Welche Herausforderun-
          und sozialen Belastungen ausgesetzt.   gen erleben sie, welche Lösungsstrate-
          Menschen mit Demenz bilden zwar       gien entwickeln sie? Wie äußern sich
          eine Personengruppe, die besonders    Öffentlichkeit und Politik zu dieser
          geschützt werden soll. Aber unter den   Situation?
          Schutzmaßnahmen des ‚social distan-   Im Forschungsprojekt „Demenz in
          cing‘ brechen auch viele wichtige For-  Zeiten von Corona“ (Prof. Reimer Gro-
          men der Begegnung und Versorgung      nemeyer und Dr. Oliver Schultz) werden
          weg. Ambulante Betreuung findet       Materialien zu der Thematik gesammelt
          kaum mehr statt. Besuche von Angehö-  und ausgewertet.
          rigen in Altenpflegeeinrichtungen
          waren lange Zeit ganz untersagt.
          BewohnerInnen und Pflegende waren
                                                                        Foto: Angelika Unger

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